Nach der Schlacht begann ein Aufschwung in Fxii. Im Palast des Verwalters fand man tatsächlich funktionierende Vegetationsysteme. Er hatte es uns Monate lang verschwiegen! Hunderte waren gestorben wegen seinem Egoismus! Er lebte in Sauß und Prauß, während wir vor uns dahinvegetierten, uns mit letzter Kraft an unsere Existenz klammernd. Doch wir hatten es geschafft, ihn abzusetzen! Fxii hatte sich endlich gewehrt. Der Verwalter war gestürzt!
Was dann geschah, hätte ich vor der Zeit des Ausfalls nie auch nur gewagt zu träumen: Die Bürger von Fxii wählten einen neuen Verwalter. Eigentlich war das Amt des Verwalters auf Lebenszeit - nur der Tod konnte ihn von seinem Amt entheben. Doch da wir den alten Verwalter schon etwas früher entthronten, wurde eben auch früher ein neuer Verwalter gewählt. Aber wen, das kann ich auch bis heute nicht begreifen: Es war Tosrh. Er hatte sie in die Schlacht geführt, ihnen Mut gemacht, ihnen den Sieg gebracht! Und so wurde er stillschweigend von allen als neuer Verwalter akzeptiert, bis er dann, der Form wegen, endlich amtlich bestätigt wurde!
Tosrh, so verrückt er mir früher auch vorkam, verstand seinen Job. Die Notvegetationssysteme des Verwalters konnten nicht genug Gemüse und Obst für alle liefern. Daher ließ er zuerst die kranken und schwachen kommen, um ihnen zu helfen. Danach setzte er die Techniker auf die Systeme an, um durch vergleichen, was die Systeme zum Ausfall brachte.
Ich verstehe nicht viel von der Technik, wie auch die meisten anderen Bürger, aber anscheinend schien das Problem eine simple Lösung zu haben: Es war ein kleiner Draht, welcher in allen Systemen durchgebrannt war! Aus den Aufzeichnungen der Vorfahren ging hervor, dass sie es als "Sicherung" bezeichneten. Sie sollten wohl dafür sorgen, dass die Systeme nicht beschädigt wurden, wenn die Energie zu hoch wurde. Anscheinend ist genau das passiert! Durch den langen Stillstand zeigten sich auch noch andere Schäden, aber sie waren schnell repariert!
Mittlerweile waren ungefähr 20% der Systeme wieder einsatzbereit. Noch reichte die Nahrung lange nicht für alle, daher fing Tosrh an, sie zu rationieren. So konnte jeder Fxii'ler pro Woche zumindest eine Hand voll Gemüse zu sich nehmen. Das war besser als gar nichts, und so stieg die Stimmung weiter, und auch Tosrh's Ansehen rauschte in ungeahnte Höhen. Für die anderen war eine Art Gott. Ich besuchte ihn oft im Palast, und irgendwie sah er immer ein wenig gestresst aus. Selbst er hatte sich sowas nie zu erträumen gewagt. Er hatte auch oft schwere Entscheidungen zu treffen!
So auch die Entscheidung, was mit den Gardisten und dem Verwalter geschehen sollte! Fxii wollte Blut sehen - Literweise! Der Verwalter hatte sich selbst in die Tasche gewirtschaftet, und die Gardisten hatten es gewusst. Sie hatten alle den Tod hunderter von Menschen auf dem Gewissen, und so hieß es für die Bürger nur: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Doch Tosrh entschied nicht so. In einer fantastischen Rede legte er den Fxii'lern dar, dass es keine besseren Arbeitskräfte gab als die Gardisten. Und so wurden sie dazu verurteilte, bis an ihr Lebensende die Vegetationssysteme zu warten, zu bedienen, das Gemüse zu ernten, und Fxii damit zu beliefern. Sie jedoch sollten davon nix bekommen! Tosrh's Entscheidung war so genial wie grausam: Sie mussten täglich mit der Nahrung umgehen, hatten sie ständig in den Händen, aber sie durften nix davon verzehren! Sie sollten, so Tosrh, solange nix bekommen, bis ein jeder Fxii'ler gesättigt sei, das heißt, solange bis jedes Vegetationssystem wieder lief, und jeder Bürger genügend zu essen hatte. Bis dahin stand ihnen ein reichhaltiges Menü zur Auswahl: Ratten und Algen!
Außerdem wurden sie ausgefragt, über alles, was sie so wussten. So erfuhren wir, dass der Verwalter auch Notbeleuchtungen hatte. Die Techniker schauten sie sich an, um dann zu verkünden, dass sie die Beleuchtungssysteme wahrscheinlich nicht so einfach reparieren konnten, und daher ihre ganzen Gedanken auf die Nahrung konzentrierten.
Weiter erfuhren wir, dass die Waffen, die sie bei sich trugen, nie funktioniert hatten. Sie fanden sie eines Tages in einem alten Abschnitt von Fxii, welcher seit langem nicht mehr bewohnt wurde. Aus ihren Recherchen ging hervor, dass diese Waffen einst Spielzeuge für Kinder waren. Irgendwann beschloss jedoch ein Verwalter, dass Waffen schlecht seien, ob sie nun echt waren oder nicht, und verbot sie somit. Als die Gardisten sie dann irgendwann wieder fanden, inszenierten sie einen gigantischen Betrug, indem sie das Gerücht verbreiteten, ihre Waffen wären so mächtig, einen Mann einfach so zu töten.
So gaben sie einiges weiter Preis. Ein Geheimnis nach dem anderen wurde gelüftet. Nur eines wollten sie nicht sofort verraten: Was mit den Leichen geschah. Seit jeher wurde jeder Tote von den Gardisten geholt, und weggebracht. Niemand wusste, wo sie hinkamen. Erst als Tosrh versprach, es geheim zu halten, verrieten sie es ihm. Nach dem Gespräch kam Tosrh blass aus seinem Wohnraum, hielt jedoch Wort: Niemand erfuhr, was mit den Leichen geschah. Nicht einmal ich! Aber Fxii wäre nicht Fxii, wenn es keine Gerüchte gäbe, und so hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass die Toten verbrannt, und mit der Hitze die Systeme angetrieben wurden!
Tosrh's schwierigste Entscheidung war der Verwalter: Was sollte mit ihm geschehen?


"Schweig, Fxii! Es spricht zu dir: Tosrh, Befreier und Verwalter von Fxii!" Tosrh hasste diesen Auftritt, und ich fand es irgendwie immer wieder erheiternd, ihn damit aufzuziehen, ihn vor dem Volk so anzukündigen. "Heute steht zur Verhandlung: Fxii gegen T´mluh, den ehemaligen Verwalter und auch Vernichter von Fxii!"
Ich schaute vom Balkon herab. Überall leuchteten vereinzelt Fackeln. Man konnte nicht viel sehen in der Dunkelheit, aber es schien, als wäre heute ganz Fxii erschienen. Und wieder sah man ihnen an: Sie wollten Blut sehen!
Doch als Tosrh auf den Balkon trat, schlug die Stimmung um: Männer riefen im Chor seinen Namen, Frauen kreischten, vereinzelt hörte man Heiratsanträge - sowohl von Männern als auch von Frauen! Tosrh war es, wie er auf die Balkon trat, sichtlich unangenehm. Ein wenig verunsichert trat er vor das Volk. Ich hörte ihn tief Luft holen, dann richtete er sich auf, und schaute gebieterisch auf Fxii herab. Noch immer waren Jubelrufe zu hören. Tosrh ließ sie noch eine kurze Zeit rufen, dann hob er die Hand, und auf einen Schlag war es still.
"Fxii!", begann er mit einem leichten Zittern in der Stimme. Er holte noch einmal tief Luft, und fuhr fort: "Fxii! Heute haben wir uns hier versammelt, um über das Schicksal unseres ehemaligen Verwalter's zu entscheiden! Lange genug war die Zeit der Unterdrückung, heute wird Gerechtigkeit widerfahren!"
Lauter Jubel erklang. Vereinzelt hörte man laute Rufe von weiblichen Bürgern, welche darum baten, mit Tosrh den Akt des Geschlechtsverkehrs zu vollziehen.
Diesmal unterbrach Tosrh den Jubel nicht, sondern ließ sie gewähren. Er wollte, dass sie sich jetzt schon ein wenig austobten, bevor er den Schuldigen vorführte.
Als sich der Mob so langsam wieder beruhigt hatte, wartete Tosrh noch eine Weile, bevor er schließlich zur Tat schritt. Dann, wie auf ein geheimes Zeichen brachten die neuen Gardisten den alter Verwalter auf den Balkon.
Ich muss sagen, auch ich habe ihn lange Zeit nicht gesehen, seit seinem Sturz, und ich war entsetzt über den Anblick. Fast nackt, nur mit Unterwäsche bekleidet, stand er zitternd vor Angst und Kälte auf dem Balkon. Das einst so rosige, dicke Gesicht war einem bleichen, verschrumpelten Sack gewichen, von seinem gewaltigen Leibe, der ihn einstmals umgab, erinnerten nur noch die

leeren Hautlappen, welche wie übergroße Kleidung an ihm herunterhingen. Stand er einst so stolz und Stärke ausstrahlend vor uns, so war sein Rücken nun so gebeugt, dass die Ellenbogen beinahe die Knie berührten. Bekam über die Zeit der Gefangenschaft überhaupt etwas zu essen? Die Striemen auf seinem Körper bestätigten auf alle Fälle das hartnäckige Gerücht: Ja, er wurde gefoltert!
Auch der Menge sah man das Entsetzen an. Der Anflug von Mitgefühl hielt jedoch nicht lange, da gingen die Buhrufe und Beleidigungen auch schon los: Von Mutter über Vater zu den Großeltern, Geschwistern, Vettern und Basen und dem Verwalter selbst - sie alle wurden mit den übelsten Begriffen belegt, die Fxii auf dem Kasten hatte. Ich konnte mein Vokabular um mindestens 20 neue Begriffe, welche ich hoffentlich niemals benötigen werde, erweitern.
Ich denke, nur die Gefahr, Tosrh zu verletzen, hielt die Bürger davon ab, den Verwalter mit Gegenständen zu bewerfen!
Dasselbe dachte wohl auch Tosrh, weshalb er sich dann doch entschloss, sie zu bremsen, indem er gebieterisch die Hand hob. "Fxii!" begann er mit diesmal fester und lauter Stimme zu sprechen. "Fxii, wir sind heute hier zusammengekommen, zu entscheiden über das Schicksal von T'mluh, ehemaliger Verwalter und Verräter von Fxii."
Als er das Schicksal des Verwalters ansprach, gab es kein Halten mehr: Diesmal forderte das Volk lautstark und unmissverständlich die sofortige, möglichst grausame Hinrichtung des Verwalters.
Doch Tosrh unterbrach sie wieder, und begann zu sprechen: "Mitbürger, seit jeher herrschte in Fxii auch den schlimmsten Verbrechern gegenüber Gerechtigkeit. Nur weil ein Mann uns schlechtes tat, wollen wir das nicht vergessen. Es würde uns nicht besser machen, als er es ist! Deshalb geben wir ihm die Möglichkeit, sich zu verteidigen!" Mit diesen Worten drehte er sich zum Verwalter um, und sprach: "T'mluh, es sei dir hier die Chance gegeben, dich zu verteidigen, deine Beweggründe offenzulegen, wie es das Protokoll verlangt. T'mluh, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?"
Der Verwalter hob den Kopf, holte Luft, um zu sprechen. Er blies die Luft wieder aus den Lungen, schaute in die Menge, schaute Tosrh an, drehte sich zu den neuen Gardisten um. Ein Blick in die Augen der Anwesenden zeigte ihm, dass Tosrh's Frage rein rhetorischer Frage war, und so sahen wir das erste Mal einen Gefühlsausbruch im Gesicht des Mannes, welcher immer dadurch geglänzt hatte, dass er sich ständig und immer voll und ganz unter Kontrolle hatte: Eine einzelne Träne rann ihm über das Gesicht, und mit der Gewissheit, dass sein Schicksal besiegelt ist, wandte er den Blick ab.
"So, T'mluh, du verzichtest auf dein Recht? Dann sei dein Schicksal besiegelt!" Den Blick zu Fxii, aber noch zum Verwalter sprechend, fuhr er fort: "T'mluh, du bist angeklagt des Hochverrrats gegen Fxii. Was du tatest, oder vielmehr: Was du nicht tatest, forderte den Tod tausender Menschen. Und so höre mir zu, T'mluh, zu empfangen dein Urteil! Du bist ein brutaler Mörder, welcher nur an sich selbst dachte. Nach Fxii'schem Recht sei bei einem Verbrechen gleiches mit gleichem zu vergelten. Jedoch starben schon genug Leute in Fxii. Ich habe daher beschlossen, dich am Leben zu lassen!" Lautes Gemurmel machte sich in Fxii breit. Einen solchen Verbrecher am Leben zu lassen? Hatten sich die Bürger in der Wahl des neuen Anführer's getäuscht? Steckte er mit dem Verwalter unter einer Decke?
"Schweigt, Freunde, und lasst mich zuerst zuende sprechen: T'mluh soll bestraft werden, jedoch nicht dadurch, dass sich einer von uns die Hände mit Blut besudelt. Er soll die schlimmste denkbare Strafe erhalten, die es gibt. Eine Strafe, schlimmer als den Tod!"
Wieder machte sich Gemurmel breit. Was konnte schlimmer sein als der Tod? Was hatte Tosrh in seiner unendlichen Weisheit nun wieder entschieden? Als Tosrh den Arm wieder hob, verstummte Fxii augenblicklich. Nur wenige wussten, worauf Tosrh hinauswollte. Nur einer, der wusste es ganz genau, was da gemeint war. Und so hallte durch die plötzliche Stille der laute, gequälte Angstschrei des ehemaligen Verwalters...